Über die Anfänge „der Stadt Mainz“ in den Händen ihrer Eltern berichtet Wilhelmine Schwarzmann folgendes:

„Als meine Eltern 1918 heirateten, erwarb ein Onkel mütterlicherseits das Anwesen vom Vorbesitzer, dem Thüngersheim Kaufmann Dietrich und schenkte es den frisch Vermählten zur Hochzeit – und als  Existenzgrundlage. Meine Mutter Ella Hirschmann, geborene Bauer, stammte aus Thüngersheim, wo ihr der besagte, kinderlose Onkel, der an der Frankfurter Börse offenbar recht erfolgreich tätig war, bereits ein Textilgeschäft gekauft hatte. Das war nicht nur sehr großzügig, sondern auch sehr emanzipiert für die damalige Zeit! Mein Vater stammt ursprünglich aus Thüngersheim, hatte aber in Frankfurt als Metzger gearbeitet. In seiner Freizeit war er ein ebenso begeisterter wie auch erfolgreicher Ringer und hat es in dieser Disziplin bis zum Europameister gebracht. Seine Körperkräfte kamen ihm später übrigens bei manchen Wirtshausrauf zu Gute, wenn er die ärgsten Streithähne trennte und die Unruhestifter notfalls im wahrsten Sinne des Wortes zum Fenster hinauswerfen musste. Um die Gastwirtschaft in der Semmelstraße professionell führen zu können, machte meine Mutter erst einmal eine Küchen- und Hotellehre im feinen Hotel „Excelsior“ am Bahnhof. Die Kombination mit einer Metzgerei war dam





Kindheit in der Gastwirtschaft

„1919 kam meine Schwester Kunigunde, genannt Gunda, in der Stadt Mainz zur Welt, und im September 1921 wurde ich dort geboren. So habe ich bis heute mein ganzes Leben hier verbracht: frühe Kindheitserinnerungen sind für mich daher die typischen Geräusche und Gerüche eines Gasthofes. Das Scharren und Schnauben der Pferde, das Klappern von Geschirr aus der Küche im Hof, dazu dichter Zigarettenqualm aus der Gaststube, Pferdeäpfel und der Duft von Apfelküchle. Doch war der Alltag keineswegs reine Romantik: unsere Eltern hatten einen langen Werktag – nur allzu oft, so erinnere ich mich, hat sich unsere Mutter spät abends an der Garderobe festgehalten und geschlafen, wenn die letzten Gäste nicht gehen wollten. Bei so viel Arbeit und Betriebsamkeit wuchsen wir Gastwirtskinder in recht großer Freiheit auf; wir streunten oft bis Heidingsfeld, wo ich im Sommer gerne von der Brücke in den Main gesprungen bin. Unser Nachbar, Leib Kranzler, ein jüdischer Händler gab sich gerne mit uns Kindern ab. Eindrucksvoll in Erinnerung geblieben ist uns das Laubhüttenfest auf seinem, mit Zweigen wunderschön geschmückten Balkon bei Musik. Herr Kranzler musste 1937 emigrieren und siedelte mit seiner Familie nach New York über; eine Tochter ging nach Palästina. Wenn die Hofbräu mit ihrem Fuhrwerk die Bierfässer anlieferte, brachte sie gleich die zum Kühlen benötigten, dort im tiefen Keller gelagerten Eisstangen mit. Neben der Gaststube gab es auch einen Straßenausschank, die Gassenschenke, an dem oft reger Betrieb herrschte: Mangels Kühlschrank musste das Bier ja immer in eigenen Krügen oder notfalls auch einmal Milchkannen frisch geholt werden. Viel zu tun gab es jedes Jahr zur traditionellen Zwiebel-Kirchweih, wenn die Kreuzberg Pilcher nach ihrer langen Wanderung wieder in Würzburg eintrafen und in der Wirtschaft in der Semmelstraße einkehren. Etwa 2000 Zwiebeln mussten unter vielen Tränen von Hand geschält werden, bevor sie unser Vater, schneller als jede Maschine, in winzige Stückchen schnitt. Damals gab es übrigens noch keine Tische und Bänke auf der Straße – alles drängte sich in der Gaststube. Unsere Spezialität waren Bratwürste und Knöchle. Mein Vater war ja gelernter Metzger, sodass manche Hausfrau auch ihre Wurstwaren hier gekauft hat. Wer etwas nach Schweinfurt, Köln nach Bergtheim oder auch nach Bad Königshofen zu liefern hatte, konnte hier seine Waren deponieren, die von den Fuhrleuten dann bei nächster Gelegenheit mitgenommen wurden – gewissermaßen die altfränkische Variante des Paketdienstes. In gleicher Weise dienten die Fuhrwerke auch als Mitfahrgelegenheit für Reisende und unser Gasthof als zugehörige Bushaltestelle. In der ersten Etage befand sich ein Festsaal mit Klavier, wo auch getanzt wurde; da mussten wir alles aus der Küche nach oben tragen, wenn Familienfeste wie Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen, Geburtstage oder auch einfach nur Fasching gefeiert wurde.“